Vilcha – the resettled village

Vilcha – the resettled village

(1-12 August 2017)

Am 26. April 1986 ereignete sich auf ukrainischem Boden eine Katastrophe von unbeschreiblichem Ausmaß. Jeder von uns hat etwas davon gehört, ob in Reportagen, diversen Artikeln oder geschmacklosen Horrorfilmen. Für die meisten hängt die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl unweigerlich mit der Stadt Prypjat und dem Riesenrad, dass niemals in Betrieb genommen wurde zusammen. In den Gedanken der Menschen taucht die Vorstellung einer Geisterstadt auf und man verbindet Tschernobyl mit Tod, Angst und Schrecken. Die schrecklichen Ereignisse und das Leid wird und soll man nie aus der Geschichte streichen, jedoch wollten wir uns in unserem Projekt mit einer anderen Seite beschäftigen und zwar den Überlebenden und ihrer persönlichen Geschichten.

Die Umsiedlung, dem Verlust der Häuser und noch wichtiger der Heimat, sind zentrale Punkte des Projekts.

Im Laufe des Projekts, nahmen wir in zweier Teams, bestehend aus einem ukrainischen Studenten und einem deutschen, von verschiedenen Einwohnern Interviews. Die Interviews waren oft sehr emotional. Mit unseren Fragen, ließen wir die Menschen in die Vergangenheit reisen. Vor ihren geistigen Augen zeichnete sich ihr Haus und ihre Heimat ab. Man beschrieb uns die Wälder, Flüsse, den Geruch der Pilze und den Geschmack der Beeren, die im alten Vilcha in freier Natur wuchsen. Die Sehnsucht schien beinah greifbar zu sein. Tränen rollten über die Wangen und nicht nur einmal hörten wir die Frage: „Warum hat man uns nicht einfach da leben gelassen?“ Heimat ist nicht nur das warme Haus in Sicherheit, sondern das Gefühl zu Hause zu sein und auch wenn es im neuen Vilcha alle Annehmlichkeiten gibt, fehlt den Bewohnern genau dieses Gefühl von zu Hause und angekommen zu sein. Man hat sich dran gewöhnt und man hat ja keine Wahl, waren die Sätze die uns entgegnet worden sind, auf die Frage wie es ihnen im neuen Vilcha geht.

Die Menschen in Vilcha sind sehr herzlich und noch nie in meinem Leben habe ich so viel und so gut wie in diesen drei Tagen gegessen. Man begegnete uns sehr offen und war bereit mit uns zu sprechen. Oft hatte ich das Gefühl, das genau das und zwar das Erzählen, den Menschen dort gefehlt hat. Man möchte gehört werden und seine Geschichte teilen. Eine Frau ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Kurz nach unserer Ankunft teilte sie ihre persönliche Geschichte offen mit uns. Tränen stiegen in ihre Augen und das Leid war förmlich greifbar. Als jedoch einen Tag später das Aufnahmegerät lief, erzählte sie nur noch gehemmt und anstelle der realen traurigen Ereignissen erzählte sie Anekdoten und verschloss sich. In unserem Workshop in Charkiv, lernten wir wie man ein Interview führt und das Unterbrechen nicht dazu gehört, auch wenn man merkt, dass die Person anfängt sich zu verschließen. Manchmal sollen einige Geschichten nur in der Erinnerung und nicht auf dem Aufnahmegerät existieren, soviel wurde mir da klar. Eine andere Frau teilte ihre Geschichte offen und sogar vor laufender Kamera mit uns. Alle Interviews waren emotional und aufwühlend und am Abend liefen mir dann beim gemeinsamen Abendessen mit meiner Gastfamilie die Tränen übers Gesicht. Das, was ich an diesem Tag gehört hatte, waren keine erfundenen Romane, die ich sonst lese oder ein Hollywoodfilm im Abendprogramm, sondern reale Ereignisse, von Menschen, die es geschafft hatten, in so kurzer Zeit einen Platz in meinem Herzen zu bekommen. Dieses Dorf hat eine gemeinsame Geschichte, die keinen unberührt lässt und die Menschen dort wollen gehört werden, damit auch wir heute nicht vergessen, was geschehen ist.

Das Projekt war eine einzigartige Erfahrung für mich. In kurzer Zeit lernte ich ein tolles Land und Menschen kennen. Menschen über die sonst nicht berichtet wird. Gemeinsam mit den ukrainischen Studenten und der tollen Leitung schafften wir es in kurzer Zeit ein wundervolles Projekt auf die Beine zu stellen, an das im März 2018 in Deutschland weitergearbeitet wird.

Vilcha, ein Dorf mit nur 1600 Einwohnern, aber einer gemeinsamen Geschichte und zwar dem Verlust der Heimat.

 

 

Angelina Kartak Studentin der Ruhr-Universität Bochum